Samih al-Qasim – Oh, du Feind der Sonne!

Dieses Gedicht haben wir im Rahmen des ersten Palästina-Cafés geteilt. Neben dem kämpferischen Inhalt des Gedichts selbst ist auch die Geschichte rund um das Gedicht für uns von Bedeutung:

In den 1960er Jahren saß der Black-Panther-Aktivist George Jackson im Gefängnis. Während seiner Haftstrafe politisierte er sich und las große Mengen an revolutionärer Literatur. Er solidarisierte sich auch mit dem palästinensischen Befreiungskampf und fand in einem Buch das Gedicht „Oh, du Feind der Sonne!“ von Samih al-Qasim. Dieses Gedicht über den Kampf des palästinensischen Volkes berührte ihn so sehr, dass er es handschriftlich abschrieb.

Als George Jackson 1971 von Gefängniswächtern ermordet wurde, fand man in seinem Nachlass an Schriften auch dieses Gedicht und hielt es für sein eigenes. Man glaubte, dass das Gedicht von dem Kampf der Afroamerikaner*innen gegen ihre Unterdrückung handelt und veröffentlichte es in der Zeitschrift der Black Panther Party. Dass ein Gedicht über den Kampf des palästinensischen Volkes für das Gedicht eines afroamerikanischen Aktivisten gehalten werden kann, zeigt, dass der Kampf gegen Unterdrückung ein internationaler ist.

Hier unsere Übersetzung ins Deutsche:


Oh, du Feind der Sonne!

Ich mag – wenn du es willst – meinen Lebensunterhalt verlieren.
Ich mag auch feilbieten mein Hemd und mein Bett.
Ich mag arbeiten als Steinmetz, Lastenträger oder Straßenfeger. 
Ich mag im Abfall der Passanten suchen nach Körnern zum Auflesen.
Ich mag mich dann zur Ruhe betten, nackt und hungrig. 
Oh, du Feind der Sonne, jedoch werde ich nicht nachgeben
Und bis zum letzten Pulsschlag in meinen Adern werde ich mich widersetzen!

Du magst mir nehmen auch die letzte Handspanne von meinem Land.
Du magst die Jugend verfüttern an die Gefängnisse.
Du magst herfallen über das Erbe meiner Vorväter;
Über Mobiliar, Momente und Enttäuschungen.
Du magst meine Gedichte und Bücher verbrennen.
Du magst mein Fleisch verfüttern an die Hunde.
Du magst als Schreckgespenst verweilen über unser Dorf.
Oh, du Feind der Sonne, jedoch werde ich nicht nachgeben
Und bis zum letzten Pulsschlag in meinen Adern werde ich mich widersetzen!

Du magst mir bei Nacht löschen die Fackel.
Mir mag von meiner Mutter verwehrt werden ein Kuss.
Es mag mein Volk, mein Vater und jedes Kind beschimpft werden.
Du magst meine Geschichte verfälschen und meine Mythen.
Du magst meinen Kindern verwehren das Festtagskleid.
Du magst meine Freunde täuschen mit einem geborgten Gesicht. 
Du magst um mich hochziehen Mauer um Mauer um Mauer.
Du magst meine Tage heften auf den Anblick der Erniedrigung. 
Oh, du Feind der Sonne, jedoch werde ich nicht nachgeben
Und bis zum letzten Pulsschlag in meinen Adern werde ich mich widersetzen!

Oh, du Feind der Sonne!
Dort im Hafen ist Zierde;
Und es winkt frohe Botschaft.
Dort sind Schreie, ist Aufruhr;
Und Ausrufe und Tumult.
Und inbrünstige Hymnen aus glühenden Kehlen.
Und dort am Horizont ein Segel,
Das da trotzt den tosenden Winden und allen Gefahren.
Es ist die Rückkehr des Odysseus aus der See der Wirrnis;
Die Rückkehr der Sonne und aller Menschen aus dem Exil.
Und zu ihren und seinen Ehren: Ich gelobe es, ich werden nicht nachgeben
Und bis zum letzten Pulsschlag in meinen Adern werde ich mich widersetzen!